Das Bildungssystems in Island

Schule, Schulamt, Gewerkschaft (Island Exkursion Tag 2)

Am zweiten Tag der Exkursion in Island standen drei Stationen auf dem Plan: der Besuch einer Grundschule, des Schulamts und bei der Lehrer*innengewerkschaft.

Myllubakkaskóli – Grundschule in Keflavik (Klasse 1 – 10)

In dieser Schule mit den Jahrgängen 1 bis 10 lernen 340 Schüler*innen, die von 70 Mitarbeiter*innen – Lehrer*innen und Helfer*innen – begleitet werden. Die Unterrichtszeit geht von 8 bis 13 bzw. 14 Uhr, die Kolleg*innen sind bis 16 Uhr in der Schule, so dass sie Zeit für Kooperation haben. Es besteht zudem eine enge Kooperation mit der Musikschule, so dass viele Kinder Chancen für musikalische Aktivitäten haben. Wegen der Nussallergie eines Kindes ist dies eine nussfreie Schule. Das schulinterne Curriculum orientiert sich am Nationalen Curriculum; hierbei besteht der Wunsch nach konkreteren Hinweisen für Lehr- und Lernziele.

Die Schulleitung bezeichnet zum Beginn des Besuchs das fächerübergreifende Lernen und die Teamentwicklung als größte Herausforderungen dieser seit 1952 bestehenden Schule. Auch bestehe ein Raumproblem, so dass die Schule einen Jahrgang in Container auslagern muss.

Die Schule versteht sich als ‚Schule für alle‘; dabei weist sie, wie beim Rundgang in Kleingruppen deutlich wird, eher additive Elemente auf, die dazu führen, dass Förderung bei Schüler*innen mit spezifischen Bedarfen in eigenen Räumen oder abgeteilten Bereichen stattfindet, etwa bei Lern- und Verhaltensproblemen oder Isländische als Zweitsprache. Dabei können sie z.B. im 2. Jahrgang bis zu je sechs Wochenstunden in Mathematik und Isländisch im sonderpädagogischen Raum gefördert werden. 

Die Schule insgesamt hat ein „behavioral program“ entwickelt, in dem die Elemente RespektVerantwortung und Gleichheitleitend sind, die im Unterricht – ebenso wie die Kinderrechte – immer wieder thematisiert und spezifiziert werden. An vielen Wänden finden sich neben den Kinderrechten hierzu motivierende Plakate, die durch die Kunstlehrerin gestaltet wurden.

Die gesamte Schule nimmt einen Monat lang an einem landesweiten Projekt teil, in dessen Rahmen nach und nach alle Kapitel eines Kinder- und Jugendbuchs publiziert und aufgearbeitet werden. Hierin eingebettet ist ein Projekt mit einem beliebten Computerspiel, in dem der Ort des Geschehens nachgebaut wird.

Skóla- og frístundasvið – Schul- und Jugendamt der Stadt Reykjavik

Am Nachmittag fanden zwei Präsentationen mit anschließender Fragerunde mit den beiden zuständigen Referentinnen für den Kindergartenbereich und die Pflichtschulzeit statt, bei der auch deutlich selbstkritische Aspekte thematisiert wurden. Das Schul- und Jugendamt von Reykjavik ist – wie alle Kommunen – zuständig für die Preschool (Kindergarten, 1 – 6 Jahre) und die Primary School (Klasse 1 – 10, 6 – 16 Jahre). Diese Stufen sind inklusiv strukturiert und basieren, wie auch im Nationalen Curriculum (2011) festgelegt, auf sechs Säulen: Gleichheit und Gerechtigkeit, Alphabetisierung, Menschenrechte, und Demokratie, Nachhaltigkeit, Kreativität sowie Gesundheit und Wohlbefinden.

Üblicherweise sind die Kinder in der Preschool von 9 bis 16 Uhr anwesend, in der Primary School von 8 bis 14 Uhr; für Nachmittage stehen Freizeiteinrichtungen zur Verfügung. In den Preschools besteht ein eklatanter Mangel an ausgebildeten Lehrer*innen (5 Jahre Universitätsstudium mit Masterabschluss), ihr Anteil sollte 60% betragen, real liegt er bei 28%.

Das Konzept Sonderpädagogik in der Preschool zielt seit 2009 auf Unterstützung in der Gruppe mit den Schwerpunkten Kooperation und gemeinsame Verantwortung der Teams, die aus Eltern, Lehrer*innen und Service Centers – vergleichbar Beratungszentren – bestehen und auf die größtmögliche Partizipation in der Gruppe zielen. So weit notwendig, wird ein individuelles Curriculum entwickelt. Angestrebt wird ein Übergang von individueller zu systemischer, auf die ganze Gruppe bezogener Unterstützung – auch in der zunehmend pauschalisierten Finanzierung.

In der Primary School zielt die Unterstützung ebenfalls auf die Situation im Klassenverband; lediglich für autistische Schüler*innen gibt es kleine Abteilungen, in die sich die Schüler*innen zeitweise zurückziehen können. Ein Dilemma besteht zudem darin, dass zwei Sonderschulen noch bestehen, in die Schüler*innen (in Krisensituationen) zeitlich befristet oder dauerhaft aufgenommen werden; das Schulamt möchte sie schließen, sie werden aber von Eltern weiterhin nachgefragt.

Kennarasamband Íslands – Isländische Lehrer*innengewerkschaft

Abends wurden wir von der isländischen Lehrer*innengewerkschaft über ihre Einschätzung des aktuellen Standes der Bildung in Island grundlegend und intensiv informiert. Dabei hoben der Präsident und seine Stellvertreterin einerseits die gute Kooperation mit der aktuellen Regierung und der Universität Island hervor, andererseits gab es massive Kritikpunkte an der derzeitigen Lage:

  • In der Preschool gibt es einen akuten Mangel an ausgebildeten Lehrer*innen.
  • Die Altersstruktur der Lehrkräfte wirft massive Probleme für die nächsten 20 Jahre auf – ähnlich wie in Deutschland, insbesondere im Berufsschulbereich.
  • Lehrkräfte in Pre- und Primary Schools werden (von Kommunen) geringer bezahlt als in Secondary Schools (vom Staat), zudem besteht auch in Island das gender pay gap.
  • Island hat im europäischen Vergleich extrem hohe Etikettierungsraten; obwohl sie weniger dramatische Folgen für die Schullaufbahn haben als in Deutschland, wird die implizit transportierte Botschaft, dass an den Kindern etwas ‚falsch‘ ist, als Irrweg angesehen.
  • Die Schule wird den Bedarfen von Kindern mit Isländisch als Zweitsprache nicht hinreichend gerecht.
  • Für Schüler*innen mit hohem Förderbedarf (‚very disabled‘) bestehen kaum inklusive Möglichkeiten für die Berufsbildung, da auch die Arbeitswelt wenig inklusionsorientiert ist.

Positiv wurde dagegen erwähnt,

  • dass um die Jahrtausendwende die meisten Sonderschulen geschlossen wurden,
  • dass Island seit 2008 standardisierte Tests abgeschafft haben,
  • dass zwar vor allem bei jungen Männern die Tendenz besteht, die Berufsschule abzubrechen, es jedoch relativ einfach ist, sie später fortzusetzen (hohe Durchlässigkeit) und
  • die Attraktivität des Lehramtsstudiums aktuell sehr hoch ist.

(Text: Andreas Hinz & Mirjam Viereck)